Manchmal schmeckt kalter Kaffee besser.
Zutaten: Passion und Pragmatismus
Eine kleine Geschichte über die Alchemie des Kochens und wenn ein Traum scheinbar platzt
Portrait: Kaffee-Alchemist und Entrepreneur auf der hawaiianischen Insel Oahu
In Honolulu, der Hauptstadt des US Bundesstaates Hawaii auf der Insel Oahu, besuchen wir das hippe Chinatown. Die erste Station ist eine kleine lokale Kunstgalerie „The ARTS at Marks Garage“. Hierbei handelt es sich um ein seit 2001 von Künstler:innen geführtes, gemeinnütziges Kunstzentrum: Ausstellungen, Aufführungen, Vorträge und Workshops locken Einheimische und Tourist:innen an. Der Ort hat einen gewissen Underground-Charme. Am Ende der Galerie befindet sich eine kleine, auf den ersten Blick unscheinbare, Kaffee-Ecke, die sich hinter einem roten Samtvorhang versteckt. Ein paar Tische mit bunten Tischdecken und Stühle lassen darauf schließen, dass man hier gemütlich und in entspannter Atmosphäre verweilen kann. Der Vorhang, der die Kaffeetheke von der restlichen Galerie abtrennen soll, sowie der rustikale Holztresen, fallen mir direkt ins Auge – charmant und stilvoll sieht es aus: Vintage- und Hipster-Stil werden elegant vereint. Wir haben gehört, dass der Kaffee hier sehr gut sein soll, aber ich sehe nirgends eine Kaffeemaschine und bin zunächst skeptisch. Ich erblicke nur eine junge Dame hinter dem Tresen, die uns freundlich und einladend anlächelt. Wir lächeln zurück, verlassen jedoch die Galerie und schlendern noch ein wenig im Viertel umher, stöbern in Antiquitätenläden und kleinen Buchhandlungen innerhalb des Blocks, bis wir dann in der Nachmittagshitze eine Erfrischung sowie eine Pause im Schatten brauchen. Wir finden keinen geeigneten Platz, der uns ideal und gemütlich genug erscheint, außer unserer ersten Station – also gehen wir zurück in die Kunstgalerie. Dieses Mal sitzt ein junger dunkelhaariger Mann hinter dem Holztresen, der sofort aufsteht, als wir uns der Kaffeetheke nähern. Er stellt uns eifrig seine diversen Kaffeegetränke vor. Erst jetzt bemerke ich, dass links von mir ein Glaskühlschrank mit verschiedenen Kaffeesorten steht, die in Flaschen abgepackt sind. Jetzt verstehe ich auch, warum ich eingangs keine Kaffeemaschine entdeckt habe, denn hier wird hauptsächlich kalt gebrauter Kaffee („Cold Brew“) verkauft. Genau das richtige! Da wir eine Abkühlung gut vertragen können, fragen wir was er uns empfiehlt. Sehr akkurat und ruhig erklärt er uns, welche Sorten er im Angebot hat, woher die Kaffeebohnen stammen, welche Zutaten verwendet werden und wir probieren uns durch: von Vegan Thai Coconut über Macadamia Nut Milk, Vietnamese Brew und Oat Milk Latte bis hin zu Honey Cold Brew. Gleichzeitig gibt es noch selbstgebackene süße Backwaren im Angebot. Man merkt ihm an, dass er weiß, wovon er spricht, denn sämtliche Kaffee-Mischungen werden aus eigener Hand gemacht, wie auch die Süßwaren. Doch wir konzentrieren uns auf den kalten Kaffee, denn die Entscheidung fällt schwer. Nathaniel B. Cippele (34) betreibt seine eigene Kaffeemarke „Cool Beans Coffee Stop“ erst seit fünf Monaten. Als er davon spricht, leuchten seine Augen. Wir sind sehr daran interessiert, wie man selbst kalten Kaffee zu Hause herstellen kann – der tatsächlich auch schmeckt. Direkt am nächsten Tag treffen wir uns vor der Kunstgalerie mit Nathaniel, den alle Nate nennen. Wir haben Glück, denn gerade heute ist seine sogenannte Küchenzeit („Kitchentime“). Das bedeutet, dass er ein- bis zweimal die Woche in einer gemieteten Gemeinschaftsküche seine Kaffeegetränke eigenständig zubereitet und verpackt. In einem großen Kühlschrank zieht der kalte Kaffee bis zu 24 Stunden. Wir spazieren folglich nur ein paar Blocks weiter zur Gemeinschaftsküche. In Begleitung ein Transportkarren mit verschiedenen lokalen Sirup-Variationen, wie zum Beispiel Ingwer-Honig, und ein Wasserkanister mit destilliertem Wasser, den Nate vor sich herschiebt.
Kochen und ein neues Leben auf Hawaii
Nathaniel kommt aus Springfield im Bundesstaat Missouri. Sein Vater ist in Deutschland geboren und seine Mutter ist Mexikanerin. Sein Spezialgebiet: süße Backwaren. „Nenn mir ein Dessert und ich kann es sofort nachkochen“, sagt er selbstbewusst. Schon als Kind entwickelt er eine Affinität zum Kochen. Er schaut sich gerne Kochsendungen an, versucht die Gerichte nachzuahmen und experimentiert mit verschiedenen Zutaten, die er im Haushalt findet. Nate beobachtet vor allem gerne seine Oma, wie sie in der Küche Tortillas und Brot zubereitet. Die Freude für das Kochen verleitet ihn dazu, eine Ausbildung zum Koch zu absolvieren. Mehrere Jahre, diverse Nebenjobs in unterschiedlichen Restaurants und Cafés später, landet er bei Whole Foods, einer US-amerikanischen Bio-Supermarktkette mit Sitz in Austin, Texas. Dort hat er verschiedene Positionen inne und realisiert, dass er sich in dieser Branche wohlfühlt und sich immer mehr auskennt. Nate sucht bald die Herausforderung und bewirbt sich auf eine höherwertige Stelle innerhalb Whole Foods auf Hawaii – die Stelle bringt mehr Verantwortung mit sich und ist besser bezahlt. Eine Antwort bleibt ein halbes Jahr lang aus, bis aus dem nichts auf einmal ein Anruf kommt, dass man ihn für die Stelle auf der Insel Oahu engagieren möchte. Es wird nicht lange überlegt und binnen vier Wochen packt Nate sein ganzes Hab und Gut zusammen. Was er nicht mitbringen kann, verkauft er und reist auf die polynesische Insel in ein neues Leben. Mittlerweile sind sechs Jahre vergangen und vieles hat sich seit der Ankunft auf Hawaii für ihn verändert. Gemeinsam lebt er nun hier mit seiner langjährigen Freundin Florence zusammen, die ihn von Anfang an begleitet hat, in einem Außenbezirk von Honolulu – etwas abseits vom Touristentrubel und der Hektik.
Wenn ein Traum platzt
Der Traum sich selbstständig zu machen und sein eigenes kleines Geschäft in der Gastronomie zu haben, wabern seit geraumer Zeit in seinem Kopf umher, bis der Gedanke in der Außenwelt Form annimmt. Schon lange fühlt er sich auf seinem Posten nicht mehr wohl. Die Anfangseuphorie ist durch das negative Arbeitsklima im Keim erstickt. Er kündigt. Der Traum, sein eigener Chef zu sein und selbstständig etwas aufzubauen, verleiten ihn und einen langjährigen Freund dazu, Geschäftspartner zu werden, der seinen Wunsch ebenfalls teilt. Die gesamte Planung für das Vorhaben dauert zwei Jahre. Alles wird bis ins Detail ausgefeilt, kalkuliert und überdacht. Der Businessplan steht und mehr als 10.000 Dollar sind bereits als Startkapital investiert. Aufgrund vieler angesammelter Überstunden hat er einiges an Ersparnissen angehäuft. Nate soll der Finanzkopf und Stratege innerhalb des Geschäfts sein, denn er ist strukturiert und organisiert, während sein Kollege der Kaffee-Fachmann ist und auf diesem Gebiet langjährige Erfahrungen mitbringt. Es scheint die perfekte Kombination zu sein. Die Idee hat sich nun in einen konkreten Fahrplan entwickelt und die Vorfreude ist unglaublich groß, um endlich durchzustarten. Doch wie so oft im Leben, laufen die Dinge nicht wie geplant: Genau einen Tag vor dem Start springt seine Vertrauensperson ab – zu groß sind die Zweifel seines Freundes. Die Unsicherheit und Angst zu scheitern lähmen ihn. Eine Welt bricht für Nate in jenem Moment zusammen, denn er hatte bereits reichlich Geld, Zeit und Mühe investiert. Er kann nicht begreifen und wahrhaben, dass sein Partner ihn im Stich lässt. Nathaniel will im ersten Moment nie wieder mit seinem Freund sprechen, das Vertrauen ist gebrochen.
„Ich war drei Tage lang ein Wrack. Dann raffte ich mich auf und schmiedete einen Plan.“
Es scheint, als habe er nach drei Tagen Tiefpunkt eine Eingebung und weiß genau was als nächstes zu tun ist – wie ein Phoenix aus der Asche steht er auf, sein Verstand ist auf einmal sehr klar und er kommt unmittelbar ins Handeln. „Ich war drei Tage lang ein Wrack. Dann raffte ich mich auf und schmiedete einen Plan“, schildert er nüchtern, als sei dies vollkommen selbstverständlich. Dabei drückt er den ungefähr zweieinhalb Kilo schweren Kaffeesatz über einem Sieb, das auf einem größeren Behälter aufliegt, langsam aus: Der braun schimmernde Kaffeesud tropft langsam ab – es duftet verführerisch und intensiv nach frischem – wenn auch kaltem – Kaffee.
Innerhalb einer Woche eignet er sich alles an, was man über Kaffeebohnen und über das Brauen von kaltem Kaffee wissen muss, um im Kaffee-Geschäft Fuß zu fassen. Youtube-Videos sind dabei seine Lehrmeister. „Heute kann ich meinen Freund verstehen. Ich nehme es ihm nicht mehr übel. Ohne diese Erfahrung hätte ich mir niemals alles selbst beibringen können. Ich habe so viel über Kaffee gelernt, was ich nicht für möglich gehalten hätte“, erläutert Nate und kratzt dabei Kondensmilch aus einer Dose, die er anschließend mit dem Kaffeesud verrührt. Er und sein ehemaliger Geschäftspartner sind heute immer noch Freunde und sehen sich ab und an. Nate ist nicht nachtragend, im Gegenteil: Diese Erfahrung lässt ihn wachsen, indem er sich binnen kürzester Zeit viel Fachwissen aneignet und jetzt ein Experte auf dem Kaffeegebiet ist. Zudem unterstützen ihn seine Freunde sowie Florence und geben ihm Mut.
„Die erste Geschäftsidee wird sowieso scheitern. Das ist einfach ein Teil des ganzen Prozesses.“
Was ihm geholfen hat, sich wieder aufzuraffen, waren vor allem das Vertrauen in das Geschäftsmodell und der Glaube an sich selbst sowie die Entschlossenheit, sein eigenes Ding auf die Beine zu stellen – komme was wolle. „Ich habe gelernt, dass ich sehr viel in einer sehr kleinen Zeitspanne erreichen kann. Das ist eine der größten Erkenntnisse, die ich aus dieser Erfahrung ziehe“, schildert Nate und ist dankbar über seinen persönlichen Entwicklungsverlauf. „Die erste Geschäftsidee wird sowieso scheitern. Das ist einfach ein Teil des ganzen Prozesses“, erläutert Nate pragmatisch und ruhig, der Rückschläge und Fehler vielmehr als Lernkurve betrachtet, anstatt sie persönlich zu nehmen und sich in negativen Emotionen zu verlieren, und daraus Erkenntnisse zieht es beim nächsten Mal anders zu machen. Mir gefällt seine Einstellung. Oftmals denken Menschen, dass sie vorher dies oder jenes erreicht haben müssen, um endlich mit ihren eigenen Projekten durchzustarten: Erst wenn ich X erreiche, dann kann ich mich Y widmen. Anstatt permanent zu warten, dass man grünes Licht von außen bekommt, sollte man vielmehr einfach losstarten. Die drei wichtigsten Erkenntnisse, die er für künftige Projekte mitnimmt: frühzeitig zur Behörde zu gehen, damit Abwicklungen in Sachen Lizenzierung schneller vorangehen; einen soliden Vertrag mit dem Geschäftspartner für Unvorhersehbarkeiten abschließen; und ausreichend Zeitinvestition in die lokale Gemeinschaft, diese richtig kennenzulernen, da die gegenseitige Unterstützung sehr wertvoll sei.
„Ich glaube, dass alles gut wird. Ich brauche nur einen anderen Plan und alles wird gut. Es braucht nur Zeit.“
Die größte Herausforderung ist derzeit jedoch Covid: Zeitweise ist die Galerie geschlossen und es kommt deutlich weniger Kundschaft aufgrund der regulierten Personenanzahl. Seine Geduld wird erneut auf die Probe gestellt, denn alle Geschäfte müssen schließen. Doch Nathaniel bleibt stoisch. Seit der Pandemie macht er 2000 Dollar Verlust pro Monat. Aber es geht wieder bergauf, wenn auch langsam. „Ich glaube, dass alles gut wird. Ich brauche nur einen anderen Plan und alles wird gut. Es braucht nur Zeit“, schildert Nate gelassen. Während er seine abgefüllten Flaschen in die schwarze Transportbox behutsam und sorgfältig einsortiert, fallen mir seine prägnanten Tattoos an seinen beiden Unterarmen auf. Auf Latein steht auf einem Fides und auf dem anderen Veritas – was mit Vertrauen und Wahrheit übersetzt werden kann. Nach einer längeren Pause ergänzt er: „Auch wenn etwas schief gehen sollte, weiß ich, dass es immer einen Weg und weitergehen wird.“ Ich denke an sein Produkt-Logo: drei schwebende Kaffeebohnen, die von simplen Strichen – wie ein Regenbogen – umrahmt sind. Sie deuten auf Sonnenstrahlen und den Aufgang der Sonne hin. Analog dazu scheint Nathaniel aus allen Rückschlägen und Enttäuschungen zu wachsen und zu strahlen.
Nachhaltigkeit
Auf Hawaii so wie allgemein in den USA, ist das Bewusstsein für Nachhaltigkeit oder umweltfreundliche Verpackungen leider nicht so fortgeschritten und präsent wie in Europa. Es fehlt grundsätzlich ein kollektives Bewusstsein für das Thema Nachhaltigkeit, gar ausreichend Aufklärung sowie der eigene Antrieb tatsächlich etwas verändern zu wollen. Ich muss zugeben, dass mich der Anblick der vielen Plastikverpackungen schmerzt sowie die Tatsache, dass keine ordentliche Mülltrennung oder ein solider Recyclingprozess existiert. Noch dazu hat die Corona-Situation die Problematik verschlechtert: Der Staat erlaubt den meisten Restaurants und Cafés aus Hygienegründen nur Einwegverpackungen. Nate blickt der Entwicklung hinsichtlich mehr Bewusstseins für Nachhaltigkeit in der lokalen Bevölkerung pessimistisch entgegen. Seiner Meinung nach ist der Kulturwandel nur sehr schwer zu stemmen. Er selbst findet es schlimm, dass es auf der Insel keinen geregelten Recyclingprozess gebe und das was derzeit existiere, keinen Sinn mache. Ihm ist die Problematik durchaus bewusst: Wenigstens verwenden er und Florence den gebrauchten Kaffeesatz als Kompost, der an NGOs für Düngungszwecke innerhalb des Bezirks gespendet wird. Florence stellt zudem selbst Kaffee-Körperpeeling her, das ebenfalls verkauft wird. Zwar sind jegliche Art von Plastikbehältern nicht erfreulich, dennoch versucht jeder was er kann und dies ist besser als gar nichts. Nate ist es äußerst wichtig, dass für den kalt gebrauten Kaffee lokale Bohnen verwendet werden: Die Waialua-Kaffeebohnen bezieht er von der „North Shore“– dem Norden der Insel Oahu.
Exkurs: Wissenswertes über Kaffee in Hawaii
Hawaii ist der einzige von 50 amerikanischen Bundesstaaten, auf dem heimischer Kaffee angebaut werden kann. Das liegt vor allem an den ökonomisch optimalen Bedingungen, die die abgelegenen acht Hauptinseln für den Kaffeeanbau mit sich bringen: hervorragende Temperaturen, bestmögliche Höhenlagen und der vulkanische fruchtbare und nährstoffreiche Boden. Insbesondere ist Hawaii bekannt für den Kona-Kaffee, der hauptsächlich in der Region Kailua-Kona auf Big Island angebaut wird. Diese Bohnen gelten als äußerst hochwertig und werden als die teuersten Kaffeebohnen der Welt gehandelt. Im Jahr 1813 brachte Don Francisco de Paula y Martin, Spanisch-Übersetzer sowie Arzt des hawaiianischen König's Kamehameha dem Großen, die ersten Kaffeepflanzen auf die polynesische Insel. Beinahe mehr als ein Jahrzehnt später pflanzte ein amerikanischer Missionar die ersten Arabica-Bäume (Kaffeepflanzen der Sorte Arabica) in Kealakekua südlich von Kona an. Über 700 Familienbetriebe bauen im Bereich Kona auf der größten hawaiianischen Insel Kaffee an, sodass der Name „Kona Coffee“ allen ein Begriff ist. Es gibt auf fast allen Inseln kleine Kaffeeplantagen, aber keinen großindustriellen Anbau.
Quelle: Vollmer, A. (2018). Hawaii (12. Aufl.). Reise Know-How Verlag.